Schiefer Sonntag

Vor zwei Generationen war der Sonntag Invocavit für viele Jugendliche in der Westeifel, in Luxemburg und im zu Belgien gehörenden Hohen Venn ein ganz besonderer Tag. Dort rollten an diesem Ersten Fastensonntag von den Hügeln und Bergen Feuerräder ins Tal. Im Dialekt wurde dies unterschiedlich als „Schaaf“, „Scheef(e)“ oder „Schoofe“-Sonntag bezeichnet, was man lange Zeit vom Schieben des Rades ableitete. Näher betrachtet, war diese Herleitung jedoch nicht haltbar. Die Erklärung der Wortbedeutung findet sich in der sprachgeschichtlichen Entwicklung, wonach sich die Begriffe von der seit dem Mittelalter gebräuchlichen Bezeichnung eines Strohbundes ableiten.

Ähnliche Bräuche gab es vor rund 50 Jahren noch häufig im Kreis Bitburg. Dort wurde aber nicht ein Rad geschoben oder gerollt, sondern die Jugendlichen des Ortes verbrannten Strohkreuze, Strohbäume oder Strohbären. Sehr beliebt war auch das Burg- oder Hüttenbrennen, bei dem eine aus Holz und Stroh zusammengesetzte „Hütte“ verbrannt wurde. In manchen Dörfern, so etwa in Dreis-Brück, verschmolzen beide Elemente – das Radschieben und das Burgbrennen – zu einem Brauch.

Beide Bräuche zählen zu den Feuern, die zu Beginn der Fastenzeit abgebrannt werden. Sie unterscheiden sich aber im Detail. Bei der Strohburg, dem Strohmann oder dem Strohkreuz – das heutzutage auch in Daun-Neunkirchen verbrannt wird –, handelt es sich um ein Symbol des Winters, der mit Feuer vertrieben wird. Das brennend den Berg hinunter gerollte oder geschobene Rad symbolisiert hingegen die Sonne. Das Hüttenbrennen wurde in früherer Zeit in manchen Orten für eine Vorhersage des zukünftigen Wetters genutzt. Je nachdem, wohin der Rauch zog, wurde dies als Hinweis auf kommendes gutes Wetter – also eine ertragreiche Ernte – oder als Vorzeichen eines schlechten Jahres gedeutet. Ganz so ernst war diese Vorhersage wohl bereits im 19. Jahrhundert nicht gemeint. Denn man war sich damals sehr wohl bewusst, dass es Indikatoren gab, die mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit Rückschlüsse auf das kommende Wetter erlaubten. Diese Prognosen waren aber stets an feste Tage im Jahr gebunden. So etwa das am 22. Februar gefeierte Fest „Petri Stuhlfeier“, für das die Regel galt, gebe es an diesem Tag „noch Eis und viel Ost (Ostwind, d. Verf.), dann bringt der Feber (Februar, d. Verf.) noch starken Frost.“

Gemeinsam ist beiden Bräuchen, dass sie von der katholischen Kirche lange Zeit nicht gern gesehen wurden. Für das kurtrierische Territorium ist für das Jahr 1687 belegt, dass ein Visitator den Jugendlichen von Karlshausen bei Neuerburg verbot, am Fastensonntag Strohfeuer anzuzünden und „dabei allerlei abergläubische Segnungen vorzunehmen.“ Einhundert Jahre später ließ Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Trier das Verbot aller Fastnachtsfeuer und gleichzeitig auch der Hagel-, Johannis- und Martinsfeuer verkünden. Als Grund gab er die damit verbundene Feuergefahr an, zudem sei dies „abergläubischer Missbrauch“, der den „Muthwillen der jungen Purschen zum Grund habe“. Trotz einer hohen Strafandrohung – bei Zuwiderhandlung drohte 14-tägige Zwangsarbeit beim Straßenbau –, ließ sich die Mehrheit der jungen Männer nicht von ihrem Tun abhalten. Dabei spielte wohl eine große Rolle, dass die Einhaltung des Verbots nicht mit Verve kontrolliert wurde.

Noch vor dreißig Jahren waren Fastenfeuer in 100 Orten im Kreis Bitburg-Prüm nachweisbar, wobei sich Schwerpunkte in den nördlichen Verbandsgemeinden Arzfeld, Bitburger Land und Prüm ergaben. Bereits damals wurde aber die Zukunft dieses Brauchtums von Herbert und Elke Schwedt in ihrer Darstellung über „Jahresfeuer, Kirchweih und Schützenfest“ düster gezeichnet. Mit Blick auf die kleinen Dörfer und die sich bereits damals abzeichnende negative demographische Entwicklung stellten sie fest, „dass das für diesen Brauch notwendige Potential an Aktoren schwindet und etwa an ein florierendes Vereinswesen nicht zu denken ist. Diese Entwicklung wird sich zweifellos auf das Fortbestehen des Fastenfeuers in der Westeifel auswirken.“ Jedoch sahen sie Hoffnung, wenn es zu „Neuorientierungen“ komme. Als mutmachendes Beispiel sahen sie Orte bei Gerolstein, wo der Eifelverein vor mehr als 50 Jahren den Brauch des Fastenfeuers neu belebte.

Das Radschieben besteht in verschiedenen Variationen in unserem Kreis unter anderem in Neroth, Walsdorf, Steffeln, Dreis-Brück und Daun-Waldkönigen.

In Waldkönigen erlebte dieser Brauch in den letzten Jahrzehnten mehrere Veränderungen. Bis in die Nachkriegszeit umwickelten die Junggesellen des Ortes ein hölzernes Rad mit Stroh und schoben es dann brennend den Berg hinunter. Danach ließen die jungen, unverheirateten Männer des Ortes bis in die 1990er Jahre große, mit Stroh ausgestopfte Gummireifen von dem im Norden des Ortes gelegenen „Hansnickelsberg“ in der Gemarkung „Auf der Sandkaul“ ins Tal rollen. In manchen Jahren sausten dutzendweise lichterloh brennende LKw-Reifen und sogar mannshohe Bagger-Reifen den Berg hinunter. Über die damit verbundenen Gefahren bestand unter den Junggesellen, die das Radschieben durchführten, kein Zweifel. Deshalb wurden junge Männer zum Schutz der in der Nähe der Laufrichtung der Reifen stehenden Ställe und Schuppen eingeteilt. Mit langen Holzstangen sollten sie bei Gefahr die anrollenden brennenden Reifen umstoßen oder zumindest ablenken.

Das Rad wird mit kleinen Holzstücken und Stroh randvoll gestopft. (© Dr. Reinhard Scholzen)

Aufgrund neuer Umweltschutzbestimmungen wurde das Verbrennen der Autoreifen eingestellt. Statt dessen wird seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ein großer zylindrischer Metallkorb mit Stroh und Holz ausgestopft. In der Gegenwart ist es nicht ganz einfach, das dafür notwendige Stroh zu beschaffen. Da hilft der am Ort ansässige Schäfer aus, der zudem seinen großen Stall zum Befüllen des Rades zur Verfügung stellt. Gegen 19 Uhr wird das Rad auf einer Wiese „Beim Lahrdreis“ in Brand gesetzt, sodann die Stangen links und rechts von mehreren Männern gefasst und das Rad rund 200 Meter die Wiese hinunter geschoben.

 

Auch das Sammeln für die anschließende Feier wandelte sich im Lauf der letzten Jahre. Bis in die 1970er Jahre baten die Junggesellen für die anschließende Feier bei den Einwohnern um Eier und Speck, die sie in großen Weidenkörben in eines der damals noch vier Gasthäuser Waldkönigens transportierten.

Das Rad wird in Brand gesetzt. (© Dr. Reinhard Scholzen)

Seit den 1980er Jahren wurde die Sach- mehr und mehr durch eine kleine Geldspende ersetzt, in der Gegenwart sammeln die jüngsten Junggesellen nur noch Geld ein. Anschließend wird im einzig verbliebenen Gasthaus des Ortes das Feuerspektakel intensiv nachbesprochen.

Die Junggesellen schieben das Feuerrad den Berg hinunter. (© Dr. Reinhard Scholzen)

 Den Höhepunkt des Abends bildet die Aufnahme der Jüngsten in den Kreis der Junggesellen. Dazu gilt es, ein Aufnahmeritual zu bestehen: Sie verzehren ein mit viel Mühe und Geduld arrangiertes Butterbrot. Um den Belag dieser „Schmerr“ ranken sich viele Legenden.

Die Junggesellen schieben das Feuerrad den Berg hinunter. (© Dr. Reinhard Scholzen)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Aufsatz (erstellt von Dr. Reinhard Scholzen) wurde veröffentlicht im Heimatjahrbuch Landkreis Vulkaneifel, 2017, S. 71-73.