Waldkönigen im Jahr 1790

von Dr. Reinhard Scholzen

Inselkarte Waldkönigens von 1790

Alte Karten bilden für viele Wissenschaftler eine wertvolle Quelle. Zum Beispiel Geographen oder Historiker erhalten daraus Hinweise auf die Siedlungsgeschichte. Die agrarische Nutzung einer Landschaft erhellen Karten oder sie belegen, wie sich ein Flusslauf veränderte. Darüber hinaus fasziniert zahlreiche Menschen die Schönheit alter Karten. Daher sind die Werke Gerhard Mercators oder Sebastian Münsters bei vielen ein beliebter Wandschmuck.

Grenzstreitigkeiten

Das Landeshauptarchiv in Koblenz verwahrt in seinen Beständen eine Karte Waldkönigens: „Grund Ries des hoch gräflich Metternicher Herrschaft Waldkönigen“. Sie wurde im Oktober 1790 vom „geometram juratum“ Johann Peter Dilbecker angefertigt. Er war ein bedeutender vereidigter Landmesser und gleichzeitig Notar im kurtrierischen Gebiet. 1774 zeichnete er detailreich das Hospital in Kues an der Mosel. Fünf Jahre später erfasste er den Besitz des Trierer Domkapitels bei Niederfell – unweit von Koblenz – kartographisch. 1788 erstellte er eine Übersicht über die dem Grafen Metternich gehörenden Höfe bei Naunheim, in der Nähe von Mayen. Auch Waldkönigen gehörte damals dem Grafen Franz Georg von Metternich zu Winneburg, der von 1746 bis 1818 lebte.

Sehr viele Karten wurden in dieser Zeit gezeichnet, um die Besitzverhältnisse darzustellen – was auch für eine gerechte Besteuerung notwendig war – oder Streitigkeiten um einen Grenzverlauf zu schlichten. Auf der Karte vermerkte Dilbecker links oben, dass dadurch die strittigen Besitzansprüche zwischen Hinterweiler, Dockweiler und Waldkönigen in der Gemarkung „Auf dem Boos“ geklärt werden sollten. Dort stießen die Besitzungen dreier Herrschaften aneinander: Hinterweiler gehörte zum Kurfürstentum Trier, Dockweiler unterstand dem Herzog von Arenberg und Waldkönigen den Metternichern. Wir kennen sogar den Auslöser des Streits: Bei einer Routinekontrolle des Grenzverlaufs war im Frühjahr 1787 eine Straftat ans Licht gekommen. Der arenbergische Landschultheiß Heinrich Ignatius Bender meldete dem Statthalter, zwischen Dockweiler und Waldkönigen seien die hölzernen Zollstöcke mitsamt den Schildern gestohlen worden. Die Arenberger ließen daraufhin gusseiserne Zollstöcke herstellen, an denen das ebenso aus Eisen gefertigte Wappen des Landesherrn und eine Inschrift angebracht wurden. Wahrscheinlich kamen bei diesen Arbeiten die Unregelmäßigkeiten im Grenzverlauf der Nachbargemeinden ans Licht.

Diesem Streit um einen Grenzverlauf verdanken wir eine historische Quelle, die in vielerlei Hinsicht interessant ist. Die 575 x 710 mm große Karte enthält zahlreiche Informationen über das Leben in Waldkönigen vor 230 Jahren: Wir können aus ihr die alten Flurnamen entnehmen. Darüber hinaus verzeichnet die lavierte Federzeichnung (grün-gelb-braun-rot) die 61 Grenzsteine und Markierungen. Nebenbei erfahren wir auch, dass sich die Grenzmarkierungen mitunter im Laufe der Zeit änderten. So wird beim Stein mit der Nummer 26 erwähnt, dass dieser unterhalb des „Hähnges born“ sitzt, wo „früher eine Eiche gestanden hat.“

Mit Groß- und Kleinbuchstaben sind die Felder, Wiesen, Viehweiden, Hecken und Wälder beschriftet. Wir sehen, dass deren Größe in Morgen, Viertel, Ruten und Schuh gemessen wurde, wobei 40 Ruten ein Viertel und vier Viertel einen Morgen ergeben, der 0,3535 Hektar entsprach. Wir erhalten auch Hinweise, wie das Land genutzt wurde: Es können unterschiedliche Gewannlängen und Gewannanordnungen erkannt werden und wir sehen, dass damals fast die Hälfte der Gemeindefläche mit Wald bedeckt war.

Flurnamen wie zum Beispiel „Auf der Heid“, lassen Rückschlüsse auf die mindere Qualität des Bodens zu. Andererseits können wir anhand einiger Flurbezeichnungen nachvollziehen, wie die landwirtschaftliche Nutzung voranschritt; denn die Namen, in denen die Begriffe „Röder“ und „Rodt“ enthalten sind, deuten auf Rodungen in der Gründungszeit des Ortes hin, sie können aber auch in einer Zeit entstanden sein, als die Bevölkerungszahl der Siedlung deutlich stieg.

Im Norden, Westen und Süden des Dorfes finden sich mehrere Flurbezeichnungen, die auf „born“ enden, was ein untrüglicher Hinweis auf dort vorhandene Quellen ist. Darüber hinaus weisen auch „Rombels brug“, „Eich seiffen“ oder „Rengeler neß“ auf feuchte Böden hin. Aus der Schreibweise dieser und anderer Begriffe können wir erschließen, wie der Kartograph die Flurbezeichnungen erfasste. Er ging mit einem Waldkönigener durch die Felder und Wiesen, ließ sich von ihm den jeweiligen Namen nennen und trug ihn dann später in die Karte ein. Natürlich sprach der Mann Dialekt, den der Kartenzeichner ins „Hochdeutsche“ übertrug. Da es Ende des 18. Jahrhunderts noch keine verbindlichen Regeln für die Rechtschreibung gab, finden sich mitunter mehrere unterschiedliche Schreibweisen für den gleichen Begriff.

Wir erkennen in der Karte auch das Wegenetz, das sich zum Teil bis zur Gegenwart kaum verändert hat. Entlang des Pützbaches führte ein Weg nach Steinborn, die heutige Kreisstraße 12. Die „Wein straas“ – heute K 35 – verbindet Waldkönigen und Hinterweiler. Diese Bezeichnung existiert in zahlreichen Orten des Kreises – zum Beispiel in Ormont – was jedoch nicht als Beleg für einen dortigen Weinanbau gedeutet werden kann, vielmehr ist es ein Hinweis darauf, dass auf diesem Weg häufig Wein transportiert wurde. Die Straße von Dockweiler nach Daun entspricht dem alten Verlauf der B 421 und die „Dauner straas“ ist bei Wanderern immer noch beliebt.

Bei näherer Betrachtung der Karte entdecken wir am nördlichen Dorfrand eine Kirche. Aus einer schriftlichen Überlieferung wissen wir, dass der Zeichner die „Luzienkapelle“ abbildete, die vor 1716 errichtet wurde. Aus diesem Jahr blieb ein Schriftstück erhalten, in dem das Kirchlein als baufällig bezeichnet wird. Drei Jahre später heißt es, das Dach des Gotteshauses sei „ruinös“. Die Einwohner reparierten es zwar, so dass im Jahr 1752 alle 14 Tage eine heilige Messe abgehalten wurde, aber es fehlte das Geld, um die Kirche von Grund auf zu renovieren. Als Dilbecker die Karte ausarbeitete, gingen die Waldkönigener daher in den Gottesdienst nach Steinborn.

Mit Sicherheit rauschte im Jahr 1790 im Dorf eine, wahrscheinlich aber zwei Mühlen. Der Hausname „Müllich“ hat sich bis zur Gegenwart an gleicher Stelle erhalten und belegt, wie genau Dilbecker die Karte zeichnete. Man kann sogar das Mühlrad erkennen. Um es das ganze Jahr über mit genügend Wasser versorgen zu können, legte man im Oberlauf des Pützbaches einen Mühlenteich an. Dort, wo sich heute ein Fischteich befindet. Insgesamt 21 Häuser zeichnete Dilbecker in die Karte ein, von denen 16 im Unterdorf und fünf im Oberdorf lagen. Wie viele Einwohner der Ort damals hatte, ist nicht bekannt. Jedoch liefern andere Quellen Hinweise: Laut einer Steuerliste von 1719 wohnten damals 119 Menschen in Waldkönigen. Nach den Napoleonischen Kriegen, also rund einhundert Jahre später, lebten dort 57 Familien mit insgesamt 288 Frauen, Männern und Kindern.

Betrachtet man die politischen Verhältnisse, war die Karte von 1790 nur eine Momentaufnahme. Bereits vier Jahre später hatten sich die Herrschaftsverhältnisse von Grund auf verändert: Französische Revolutionstruppen besetzten die Eifel. 1798 wurde das Saardepartement geschaffen, das aus den vier Arrondissements Saarbrücken, Birkenfeld, Trier und Prüm bestand. Zu Letzterem gehörten die neun Kantone Daun, Gerolstein, Lissendorf, Blankenheim, Kyllburg, Manderscheid Reifferscheid, Schönberg und Prüm. Nach dem Wiener Kongress kam unsere Heimat 1815 zu Preußen, sie wurde wenig später ein Teil der Rheinprovinz. Aber das ist eine ganz andere Geschichte, die man in dem im Jahr 2017 erschienenen Buch „200 Jahre Landkreis Vulkaneifel“ nachlesen kann.

Foto 1: Inselkarte Waldkönigens von 1790. Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 702, Nr. 720.

Foto 2: Im 18. Jahrhundert war es bei Grenzstreitigkeiten üblich, als Entscheidungsgrundlage eine Karte heranzuziehen.

Foto 3: Im Detail werden die Lage und Größe der Felder, Wiesen, Weiden, Wälder und Hecken und die Grenzmarkierungen des Ortes Waldkönigen angegeben, der seit Mitte des 17. Jahrhunderts den Grafen von Metternich gehörte.

Foto 4: Eine Kirche und 21 Wohnhäuser, wobei die anderthalbgeschossigen Kniestockhäuser deutlich erkennbar sind.

Foto 5: Manche Straßenverläufe haben sich innerhalb der letzten 200 Jahre kaum verändert. Viele Flurbezeichnungen hingegen sind in der Gegenwart kaum noch bekannt.